Bei euch passt soweit eh alles?!!!

Ob in der Buschenschank, im Wirtshaus oder im Gourmetrestaurant – ein Wort gehört zum Standardrepertoire: Passt.

Entweder es passt oder – was? Passt nicht, ist eigentlich nicht vorgesehen. Denn wenn etwas nicht gepasst hätte, hätte man es der Kellnerin oder dem Kellner schon gesagt. Da das aber nicht der Fall war, ist die Frage eigentlich überflüssig, wird aber trotzdem gestellt. Dabei gibt es unterschiedliche Ausprägungen.

Eigentlich sollte hier alles passen – oder?

Passt alles? Die kürzeste Form. Entweder im Vorbeigehen ausgesprochen oder mit einem kurzen Blick auf den Tisch.

Passt bei euch alles? Setzt eine gewisse Vertrautheit zwischen Gästen und Personal voraus und enthält die stillschweigende Erwartung allgemeiner Zustimmung.

Passt soweit alles? Beinhaltet die stille Annahme, dass bisher alles gepasst hat, es aber – immerhin – noch Wünsche geben könnte.

Passt bei euch soweit alles? Wiederum mit dem zusätzlichen Vertrautheitsfaktor, der eigentlich nur eine Antwort kennt.

Dann aber gibt es noch das Schlüsselwort. Es lautet: eh. Welche Form des „Passt“ auch immer – mit dem „eh“ erhält es den Charakter des Endgültigen. Mit dem „eh“ wird aus der Frage eine Feststellung. Auch wenn die Feststellung als Frage formuliert ist.

Passt eh alles? Darauf kann es nur eine Antwort geben. Passt bei euch eh alles? So persönlich angesprochen, käme man nicht auf die Idee, dass es außer einem Ja noch etwas Anderes gibt.

Passt bei euch soweit eh alles? Das „soweit“ enthält die theoretische Möglichkeit eines neuen Wunsches, wobei die Betonung auf theoretisch liegt.

Die ultimative Form aber lautet:

Bei euch passt soweit eh alles?!!! Die – ohnehin nur theoretische – Frage ist endgültig zur Feststellung geworden, die alles enthält: Vertrautheit, die schon Züge von Komplizenschaft aufweist, betont durch das „Bei euch“ am Anfang; „soweit“ als prinzipiell noch immer mögliche Äußerung eines Wunsches, die aber durch das folgende „eh“ sofort wieder ins Reich der Phantasie verwiesen wird. Bei euch passt soweit eh alles?!!! sprechen Kellnerin oder Kellner vorzugsweise aus, wenn alle Gäste den Mund voll haben und bestenfalls nickende Zustimmung bekunden können.

Freunde berichten uns von einer in Südbayern üblichen Form des gastronomischen „Passt“: Passt scho. Das ist, genau genommen, eine aufs Knappeste reduzierte Steigerung des „Bei euch passt soweit eh alles“.

Noch knapper wäre nur noch – basta! Aber das wäre eine andere Geschichte.

Hier passt offensichtlich bei den Kellnern alles. Fotos: Kirchengast

Bitte weitersingen!

Wir warten im Vorraum der Musikschule auf unsere Stimmbildungsstunde. Aus den Zimmern dringen die Übungstöne menschlicher Stimmen und verschiedener Instrumente. Eine berührende Kakophonie des Lebens.

„Land unter“, sagt unser Gesangslehrer auf die Frage, wie es ihm gehe. Zum Schulschluss hin steht er unter Dauerstress. Zwei Musikschulen hat er zu betreuen, in weit voneinander entfernt liegenden Bezirksstädten. Das bedeutet zusätzlich zur Arbeit an den Schulen Tausende Kilometer im Jahr im Auto oder im Zug. Und daneben leitet er noch unseren Chor, mit dem er gerade für das Sommerkonzert ein anspruchsvolles Programm probt. Nach der Probe muss er noch 50 Kilometer zurück nach Graz fahren. Viel vor elf Uhr nachts ist er nicht zu Hause.

Ohne die zwei Musikschulen käme er nicht über die Runden. Mit einer allein ginge es sich mangels ausreichender Stunden nicht aus. Die Nachfrage nach privaten Musikstunden stagniert. Zugleich klagen die Chöre überall über mangelnden Nachwuchs. Viele gleichen schon singenden Altersheimen und dünnen nach den Gesetzen der Biologie weiter aus. Manche Chöre behelfen sich mit regionalen Kooperationen, aber auch das hat ein Ablaufdatum. Vor allem Männer fehlen. Haben viele Chöre vor Jahrzehnten als reine Männerchöre begonnen, sind es jetzt die Frauen, die sie vor dem völligen Verschwinden bewahren.

Chorsingen vor Publikum: Die Freude, die man anderen bereitet, kommt zurück. Foto: Kirchengast

Bei der permanenten Reizüberflutung bleibt das gemeinsame Musizieren, so scheint es, auf der Strecke. Dabei ist die Nachfrage nach privatem Musikunterricht auf dem Land noch immer recht rege. Das liegt auch an den Blasmusikkapellen, die freilich ebenfalls fast überall Nachwuchssorgen haben. Die jungen Leute beschäftigen sich lieber mit dem Handy, als ein Musikinstrument zu lernen – außer, das Elternhaus ist dahinter.

Das Schulsystem ist Spiegel der Entwicklung, die es selbst fördert. Außer an speziell ausgerichteten Schulen wird der Musikunterricht fast überall sträflich vernachlässigt oder findet überhaupt nicht statt. Und dass ein Musiklehrer wie der unsrige im halben Land herumkurven muss, um von seinem Beruf leben zu können, ist schlicht ein Skandal – im angeblichen Musikland Österreich.

Das alles wird sich, so ist zu befürchten, noch bitter rächen. Die Musik bedient menschliche Grundbedürfnisse, sie vermittelt ein Gefühl für andere Welten, relativiert die Zeit und gibt zugleich Geborgenheit. Musik hebt den Menschen über sich hinaus. Das gilt besonders für das gemeinsame Musizieren. Menschen, die das nicht erleben und dieses Gefühl, daran zu wachsen und etwas geschenkt zu bekommen, nicht kennen, verpassen einiges vom Wertvollsten und Schönsten, das das Leben zu geben hat.

Kann Künstliche Intelligenz singen? Wahrscheinlich schon. Die Frage ist nur, wie. Und wenn es stimmt, dass sie den Menschen mehr Zeit für anderes geben wird – was werden sie mit dieser Zeit machen? Noch mehr mit dem Handy spielen oder vielleicht doch einmal pro Woche zur Chorprobe gehen oder ein Musikinstrument lernen – und damit Menschen aus Fleisch und Blut bleiben. Noch haben wir die Wahl.

Triest oder Die erträgliche Flüchtigkeit des Seins

„Fällt dir etwas auf?“, fragte mich meine Frau. Ich sah mich um. Mir fiel nichts auf, außer dass an den Tischen des Schanigartens lebhaft gesprochen oder still genossen wurde. „Niemand schaut in sein Handy, nirgends liegt eines auf dem Tisch.“ Ich schaute mich noch einmal um. Tatsächlich. Dafür aber stand bei jedem Teller ein Glas mit Wein.

Wir saßen mit Freunden im „Roby“, einem typischen Triestiner Buffet (wird im Italienischen genauso ausgesprochen) am oberen Ende des Borgo Teresiano, des Theresianischen Viertels, nahe der Piazza Oberdan. Solide Mittelmeer-Karst-Küche, eine große Auswahl lokaler und regionaler Weine zu moderaten Preisen, freundliche Kellner. Es ist zu einem unserer Lieblingslokale in der Stadt der Winde geworden. Am Abend freilich gibt es nur kalte Kleinigkeiten. Da nimmt man bei Roby den Aperitif.

Blick aus dem Borgo Teresiano auf die Piazza Oberdan mit dem Museum für den hingerichteten Guglielmo Oberdan, der Kaiser Franz Joseph ermorden wollte.

Das Mittagessen aber ist den Triestinern heilig. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis. Man trifft sich mit Freunden oder Bekannten im Lokal um die Ecke. Länger als drei Minuten muss im engeren urbanen Bereich niemand für einen Kaffee, ein Glas Wein, einen Imbiss oder ein Menü gehen. Und da Triest nicht das eine Zentrum hat, sondern viele Brennpunkte des wirtschaftlichen, sozialen und gastronomischen Lebens, wirkt die Stadt weit größer, als sie von der Einwohnerzahl her tatsächlich ist. Es ist fast paradox: Man fühlt sich in einer Großstadt und gleichzeitig in einem Provinzstädtchen.

Das hat natürlich auch mit der Geschichte zu tun, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen. Sie ist im Stadtbild ohnedies stets präsent. Jüngstes Beispiel:  der Maria-Theresien-Taler am Canal Grande, in Erinnerung daran, dass die Stadt unter der österreichischen Monarchin einen ungeheuren Aufschwung erlebte, der sich seit einigen Jahren zu wiederholen scheint. Und ein paar Hundert Meter weiter die Piazza Oberdan, benannt nach Guglielmo Oberdan (eigentlich Wilhelm Oberdank), dem Mann, der Kaiser Franz Joseph ermorden wollte und 1882 hingerichtet wurde.

Wie meistens reisten wir auch diesmal im Auto über Opicina an. Und trauten unseren Augen nicht: Eine Straßenbahn stand an der Endstation und fuhr an uns vorbei, als wir beim Obelisken standen, um das Panorama zu genießen. Doch wir freuten uns zu früh. „Solo prova“, sagte uns ein Bauarbeiter. Wann werde sie, nach den vielen Jahren Stillstand, wieder normal verkehren? „Natale, forse“, meinte er lachend. Zu Weihnachten, vielleicht. Hatten wir etwas anderes erwartet, in Triest?

Sie fährt wieder, die Tramway von Triest nach Opicina – allerdings nur zur Probe.

Nicht weit davon, in Conconello/Ferlugi, waren wir freilich froh, dass sich nichts geändert hatte. Gleiches Ambiente mit prächtigem Blick über die Stadt, gleich gute Küche, handschriftliche Rechnung von Patron Dimitri. In Triest ändere sich in hundert Jahren nichts, meinte er zu unserem Lob für die Kontinuität seines Lokals. Und dann brachte er uns in seinem Kombi hinunter in die Stadt. Die Busfahrer streikten von vier bis acht. Auch das nichts Neues.

Einzigartige Kombination von Kaffeehaus und Buchhandlung: das San Marco.

Im berühmten San Marco, dieser einzigartigen Mischung von Kaffeehaus und Buchhandlung, saßen wir am Nachmittag fast allein. Aber der Vortrag in der Buchhandlung war gut besucht: „Der Maria-Theresien-Thaler und der Silberhandel im 18. Jahrhundert“. Der von Maria Theresia geförderte Handel zog viele jüdische Familien aus der ganzen Monarchie und darüber hinaus in die Stadt. Sie bereicherten nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das kulturelle Leben. Die imposante Synagoge, eine der größten Europas, steht gleich um die Ecke des San Marco. Im renovierten Deckenfries des Cafés kann man die fratzenhaft verzerrten Gesichter Hitlers und Mussolinis erkennen.

Das San Marco wurde vor einigen Jahren renoviert wiedereröffnet, vor allem auf Initiative von Claudio Magris, dem großen mitteleuropäischen Schriftsteller. Lange Zeit war das San Marco Magris‘ zweites Arbeitszimmer. Heute ist er, inzwischen 83, dort nur noch äußerst selten anzutreffen.

Am nächsten Tag genehmigten wir uns einen Campari Soda im Stella Polaris am oberen Canal Grande, einem anderen berühmten Triestiner Café. An einem der Nachbartische saß ein älterer Herr, vertieft in ein altes Buch. Neben ihm eine Gehhilfe plus Stock. Zwischendurch schaute er auf und beobachtete beinahe verschämt das Geschehen um sich herum. Er schien seinen Stil auch ein Bisschen zu pflegen. Eine typische Triestiner Szene, so wie die älteren Damen, elegant gekleidet und teils mit einem Hündchen an der Leine, alleine oder mit Freundin, beim Aperitif oder einem Kaffee.

Hommage an die große Förderin der Stadt: Maria-Theresien-Taler am Canal Grande.

Wie überhaupt sehr viele Triestiner, ob jung oder alt, auf lässige Eleganz einigen Wert legen. Und dann wieder an den zahlreichen Stränden draußen in Barcola und weiter Richtung Miramare dem Sonnenbad frönen, sobald es nur einigermaßen temperiert ist. Die Dame, die an einem Kiosk ein Schwätzchen mit einer Bekannten hielt, trug mit der größten Selbstverständlichkeit ihren sehr knappen Bikini. Wir treten ihr hoffentlich nicht zu nahe, wenn wir ihr Alter auf nicht viel unter achtzig schätzen.

In „Triest – Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa“ (1993 auf Deutsch erschienen) zitiert Claudio Magris den Triestiner Lyriker Scipio Slataper (1888-1915), um das Wesen der „Triestinität“ zu erklären. Die triestinità sei ein gegebenes, aber nicht definierbares Anderssein, „authentisch, wenn es in der schamhaften Innerlichkeit des Gefühls gelebt, und verfälscht, sobald es verkündet und zur Schau gestellt wird“.

Triest hat sich dieses undefinierbare Anderssein trotz aller Zugeständnisse an Zeitgeist und Modeströmungen bewahrt. Lebensfreude im Wissen um das Flüchtige und das Bleibende, um die Vorläufigkeit des Lebens, das man deshalb umso mehr genießen muss. Der jüngst verstorbene Milan Kundera, ein bekennender Mitteleuropäer, schrieb von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Die Triestiner, diese Mitteleuropäer par excellence, sehen das anders: für sie ist es die erträgliche Flüchtigkeit des Seins.

Die Lebensfreude beginnt beim zweiten Glas – so sieht man es zumindest im Buffet Da Giovanni.
Fotos: Kirchengast