Das Österreichische Hospiz in Jerusalem: ein gemütliches Geisterhaus

Das Österreichische Hospiz in Jerusalem wird gerade ausgebaut. In seiner wechselvollen Geschichte spiegelt sich das Spannungsfeld von Religion und Politik im Nahen Osten, das sich eben wieder gewaltsam zu entladen droht.

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Gegenüber dem eher unscheinbaren Eingang an der Via Dolorosa verdeutlicht ein Polizeiposten die latente Spannung.

Viertel vor Fünf ruft der Muezzin aus den Lautsprechern der gegenüberliegenden Moschee zum Morgengebet. Eine halbe Stunde später erklingen die ersten Gesänge christlicher Pilgergruppen von der Via Dolorosa herauf. Wer im Österreichischen Hospiz in Jerusalem bei offenem Fenster schläft, sollte zeitig zu Bett gehen, um ausgeruht zu erwachen.

Mit der jüngsten Eskalation zwischen Israel und Iran, unmittelbar nachdem US-Präsident Donald Trump vom Atomdeal mit Teheran abrückte, ist die Gefahr eines neuen Nahostkriegs dramatisch gestiegen. Eine bittere Ironie der Geschichte: Genau zum 70-Jahr-Jubiläum des Staates Israel erhalten die Existenzängste seiner Bürger neue Nahrung – und werden wohl auch politisch instrumentalisiert.

In solchen Situationen, die den meisten Israelis alles andere als fremd sind, verringert sich der Touristenstrom ins Heilige Land, wie die Christen es nennen, erfahrungsgemäß deutlich. In relativ normalen Zeiten – wenn davon in dieser Region überhaupt die Rede sein kann – ist es ziemlich schwer, im Hospiz unterzukommen. Die Herberge, vor rund 150 Jahren auf Initiative des damaligen Wiener Erzbischofs Joseph Othmar von Rauscher erbaut und 1863 als Pilgerhaus eröffnet, erfreut sich vor allem im deutschsprachigen Raum großer Beliebtheit. Rund die Hälfte der Gäste kommt aus Deutschland, dahinter folgen die Österreicher und Bürger anderer EU-Länder. Ob jemand als Pilger oder „nur“ als Tourist kommt, spielt bei der Buchung keine Rolle.

Unter dem Namen „Casa Austria“ läuft derzeit ein groß angelegtes Ausbauprojekt, das zu einem Teil mit privaten Spenden finanziert und auch von der Bundesregierung unterstützt wird. An der felsigen Hinterseite des Areals entstehen neue Gästezimmer. In diesem Herbst soll der Probebetrieb, im folgenden Frühjahr der Vollbetrieb aufgenommen werden. Dann folgt die Generalsanierung des Haupthauses, mit neuem Speisesaal und Erneuerung der Versorgungsleitungen und Sanitäranlagen. „Unter Berücksichtigung des Orient-Faktors“ rechnet Rektor Markus Bugnyár mit der kompletten Fertigstellung für Frühjahr oder Sommer 2021.

Vorerst merken die Gäste von den Bauarbeiten wenig bis nichts. Die Atmosphäre von Ruhe und Geborgenheit, die das Haus ausstrahlt, bleibt unberührt. Im Erdgeschoß gibt es ein Wiener Café, in dem junge Freiwillige aus Österreich Schnitzel, Bretteljause und Apfelstrudel servieren. Nur der Hauswein kommt nicht aus der alten Heimat, sondern von einer Klosterkellerei in Bethlehem. Der liebevoll gepflegte Garten erscheint als eine perfekte Synthese von Orient und Okzident. „Es mag ja spießig sein“, meint ein deutscher Gast, den wir abends regelmäßig im Café antreffen. „Aber ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht: Nach einem langen Tag unterwegs in dieser Stadt mit ihrer Geschichte und all ihren Konflikten und Gegensätzen tut es einfach gut, nach Mitteleuropa zurückzukehren.“

Wir und unsere Freunde gestehen uns, ein wenig verschämt, ein, dass wir ähnlich empfinden. Wir haben darüber schon diskutiert. Ist da auch K.-u.-k.-Nostalgie im Spiel? Vielleicht. Das Hospiz wurde jedenfalls nicht nur als reines Pilgerhaus errichtet, sondern durchaus auch als Prestigeobjekt des österreichischen Herrscherhauses mit seinem Anspruch als oberster Beschützer der katholischen Christenheit. Es war auch ein Signal an die europäischen Großmächte, vor allem an das russische Zarenreich, das sich seinerseits als Schutzmacht der Christen im osmanischen Herrschaftsbereich sah. 1869, anlässlich der Eröffnung des Suezkanals, besuchte Kaiser Franz Joseph, der auch den Titel „König von Jerusalem“ trug, das Hospiz, offiziell als Pilger.

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Auf der Dachterrasse mit ihrem prächtigen Panorama flattern die Fahnen Österreichs und des Papstes – jene der EU nur zu besonderen Anlässen.

Von dem einstigen Anspruch zeugt heute noch die gelb-weiße Fahne des Papstes. Sie weht neben der österreichischen Flagge auf der Dachterrasse, die einen prachtvollen Rundblick über Jerusalem gewährt. Wenn schon Flaggen, warum dann nicht auch jene der Europäischen Union? Was wäre denn ein passenderes Signal an diesem Ort jahrtausendelanger gewaltsamer Konflikte als das Symbol eines historisch einzigartigen (wenn auch nicht krisenfreien) Friedensprojekts?

Bei einer späteren Begegnung in Wien sprechen wir den Hospiz-Chef darauf an. Zu besonderen Anlässen mit europäischem Bezug, etwa dem Europatag am 9. Mai, werde auch die EU-Flagge aufgezogen, sagt Bugnyár. Sie ständig zu hissen, könnte von bestimmten Kräften als Provokation aufgefasst werden, deutet der Rektor zugleich an. Unausgesprochen bleibt dabei die kritische Haltung der meisten EU-Staaten gegenüber der Palästinenserpolitik der gegenwärtigen israelischen Regierung, vor allem den Siedlungsbau betreffend.

Das Hospiz versteht sich nicht nur als Gäste- und Pilgerhaus, sondern auch als Begegnungsstätte. Dazu ist es schon allein mit seiner Lage an oder nahe den Schnittstellen der konfessionellen Viertel der Jerusalemer Altstadt prädestiniert. Laufend werden Ausstellungen zeitgenössischer jüdischer und arabischer Künstler gezeigt. Immer wieder gibt es Veranstaltungen, die der Verständigung dienen. Fast wirkt das Hospiz wie eine Insel der Ruhe und Gelassenheit inmitten dieses Meeres an – oftmals gezielt geschürten – Emotionen und Extremismen. Mit seiner wechselvollen Geschichte symbolisiert das Haus selbst die Gegensätze und Konflikte im Spannungsfeld von Religion und Politik – und zugleich die Sehnsucht nach Frieden.

Im Februar 1918, im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, wurde es von den Briten requiriert und zu einem anglikanischen Waisenhaus gemacht. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 war es zunächst einige Monate Internierungslager für Priester und Mönche aus dem Deutschen Reich in Palästina. Ab 1948 war es Lazarett unter britischer, dann unter Führung des Roten Kreuzes und wurde im Zuge des ersten Nahostkriegs im Oktober desselben Jahres von der jordanischen Regierung übernommen und weiter als Spital betrieben. 1951 starb der jordanische König Abdallah im Hospiz nach einem Schussattentat in der nahen Al-Aksa-Moschee. 1985 schließlich erfolgte die Rückgabe an den Erzbischof von Wien, 1988 wurde der Pilgerbetrieb wieder aufgenommen.

Macht, Prestige, Absolutheitsanspruch von Religionen – Verständigung, Ausgleich, tätige Nächstenliebe: das Hospiz steht für all das, für die Widersprüche und den Wunsch nach deren Überwindung. Es beherbergt die guten und weniger guten Geister der Geschichte. Diese ständig präsente Spannung in einer Atmosphäre der Ruhe und Unaufgeregtheit ist es, was die Faszination des Hauses ausmacht. So haben wir es zumindest empfunden.

Ein Refugium mitteleuropäischer Gemütlichkeit? Aber wann war Mitteleuropa, wo die blutigsten Konflikte der Menschheitsgeschichte ihren Anfang nahmen und wo heute wieder Nationalismus und Rassismus aufleben, jemals ein gemütlicher Ort? Ein Paradoxon – und insofern doch sehr passend für das auf gemütliche Art unbequeme Österreichische Hospiz in Jerusalem.

http://www.austrianhospice.com

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Sehnsucht nach Frieden: T-Shirt aus einem Souvenirshop nahe dem Hospiz. Fotos: Kirchengast